Ötztal-Marathon 2007

Es ist zwar nicht Mountainbike sondern Rennrad - aber Kult ist er allemal: der Ötztal-Marathon, an welchem BIKE-AID-Mitglied Andreas Grützmacher in diesem Jahr zum 10. Mal teilnahm. Hier ist sein Bericht.

Um allen reinrassigen Mountainbikern unter uns mal einen Hauch eines Rennradmarathons rüberzubringen hier der Bericht über die Teilnahme am Ötztaler Radmarathon 2007. Er gilt mit 238km und 5500hm über 4 Alpenpässe als die wohl härteste Einbahnstrasse der Welt (es gibt halt keine Abkürzmöglichkeit) und zweifelsohne als der begehrteste Radmarathon in Europa. Weit über 20.000 Anfragen aus 25 Nationen, aber "nur" 4000 Fahrer bekommen die Chance auf das begehrte Finishertrikot.

Zusammen mit "Bike-Aid-Gastfahrer" Markus Greis aus Monheim bei Düsseldorf konnte ich bereits im Februar einen Startplatz ergattern, was bei dieser Tour die erste schwere Hürde darstellt. Innerhalb weniger Minuten sind alle Startplätze online vergeben. Der Marathon 2007 war mittlerweile die 26te Austragung dieser Kultveranstaltung. Für mich war es die 10te Teilnahme daran und somit ein kleines persönliches Jubiläum. Auch der Startort Sölden ist zum 10ten mal Hauptveranstalter und glänzt wie gewohnt durch Perfektionismus in der Organisation und Durchführung. Bereits in der Woche vor dem Rennen ist alles auf den Radsport abgestimmt. Ein Fahnenmeer mit Marathon-Logo schmückt den Ort und wo man hinsieht nichts als Rennradverrückte mit glattrasierten Waden, die sich auf das bevorstehende Ereignis vorbereiten. Ganz Sölden scheint ein riesiger Schauplatz für die aktuellsten Rennradtrends zu sein, vor allem die Italiener protzen mit einer gigantischen Materialschlacht. Auch wir sind freitags angereist und fahren uns am Timmelsjoch schon mal warm. Samstags geht es dann gemütlich zu den Rofenhöfen ins Venter Tal. Das Wetter wird immer kaiserlicher und nach meiner Cristalp-Teilnahme nur eine Woche vorher weiß ich nicht, was ich von meinen Beinen zu halten habe. Wir beschließen trotzdem alles geben zu wollen und bei diesen Idealbedingungen die magische 10-Stunden-Marke zu brechen - aber wie? Die Durchfahrtzeiten aus dem Vorjahr haben wir zuhause ausgedruckt und sollten als grobe Orientierung dienen. Am Vorabend führen wir noch einen letzten Technik-Check an unseren Rädern durch, putzen die Ritzel blitzeblank und ziehen noch einen krachneuen Schwalbe Ultremo auf's Hinterrad. Der Glaube daran kann halt schon Berge versetzen.

Dann der große Tag:

Nach einer unruhigen Nacht klingelt um 4.30 Uhr der Wecker. Aufstehen, Katzenwäsche, Frühstücken. Dabei Kohlenhydrat- und Flüssigkeitsaufnahme bis zum Überlaufen, der Tag soll schließlich heiß werden. Der klitzeklare Sternenhimmel über der Gaislachkogel deutet ebenfalls daraufhin. Trikottaschen mit Power-Gels vollstopfen und schon gehts bei völliger Dunkelheit um 5.45Uhr von unserer Pension in Zwieselstein hinunter nach Sölden zur Startaufstellung. Hier stehen bereits fast alle anderen der 4000 Starter auf der gesperrten Hauptstrasse, durch die im Winter normalerweise die Après-Ski-Polonaisen führen. Wir stehen in Höhe einer GoGo-Girls-Bar und warten auf den Start. Dieser erfolgt dann um Punkt 6Uhr30 in Form eines pompösen Massenstarts (Spitzenfahrer in Gruppe 1 vorweg), mit zahlreichen jubelnden Zuschauern, Organisationsfahrzeugen, beleuchtetem Heißluftballon, Kamerahubschraubern und Leuchtfeuern an der Startlinie. Spätestens hier bekommt jeder Teilnehmer eine Gänsehaut. Nach dem Startschuss stürzen sich 4000 Rennradfahrer gemeinsam zunächst mal 32km talabwärts in Richtung Ötz. Dies ist auch mit der gefährlichste Abschnitt, da manche bereits hier versuchen Plätze gutzumachen und alles riskieren. Was für ein Schwachsinn! In Ötz ist dann Schluss mit Lustig, hier beginnt der 19km lange Anstieg mit 1200hm nach Kühtai. Da hier das große Feld noch ziemlich zusammen fährt ist es schwierig sein eigenes Tempo zu fahren oder sogar zu überholen. Im Anstieg melden sich die Speichen meines Hinterrades mit einem lauten Klingeln bei jeder Umdrehung. Das klingt gar nicht gut und ich habe die Befürchtung, daß es gleich kracht und damit vorbei ist. Markus verliere ich im Getümmel leider aus den Augen und somit fährt von nun an jeder auf seine eigene Faust. Ich fühle mich gut auf dem Pedal und fahre auf Puls. In Kühtai angekommen werden kurz die Trinkflaschen aufgefüllt, die Windweste wieder zugezogen und schon geht's in die Abfahrt nach Innsbruck. Auf manchen Teilstücken wird's so steil dass man seine Max-Speed locker in den 3-stelligen Bereich katapultieren könnte. Ich besinne mich an Frau und Kind zuhause und es genügen mir 93km/h, gleichzeitig fliegt ein Irrer mit aufgesetzter Lenkerpacktasche seitlich an mir vorbei (!). Nach der Abfahrt gesellt sich zu dem Speichenklingeln auch noch ein periodisches Krächzen aus dem Tretlagerbereich, das hört aber bald wieder auf, das Klingeln der Speichen wird mich die gesamte Tour begleiten.

Ab Innsbruck ist Gruppenfahren angesagt, da die bevorstehende Auffahrt zum Brenner sich nur allmählich über 37km und 800hm hochschlängelt. Hier fahren sich die meisten Neulinge den Speicher vorzeitig komplett leer, da es einfach zu gut läuft. Da ich keine passende Gruppe finde gehe ich alleine in die Führung und habe natürlich sofort eine Perlenkette von ca. 10-20 Mann im Schlepptau. Von diesen möchte aber kaum einer so richtig vorne wegdrücken und somit bleibt die Hauptarbeit bei uns ersten 4-5 Fahrern, die dann regelmäßig wechseln. Auf dem Brenner ziehe ich meine Knielinge aus und fahre nach der zweiten Verpflegungsstelle ab nach Sterzing. Verglichen mit meiner Vorjahreszeit bin ich hier bereits 45min voraus. Das stärkt mich in meinem Vorhaben die 10-Stundenmarke zu knacken. Der nun folgende Jaufenpass ist mein persönlicher Favorit: 1100hm konstante Steigung auf 15km, anschließend 21km Traumabfahrt in unzähligen Serpentinen bei Postkartenhintergrund nach St.Leonhard.

Und nun folgt das, was den eigentlichen Ötztaler ausmacht: In St.Leonhard bei 30° angekommen geht es ohne irgendein flaches Regenerations-Zwischenstück direkt in den Anstieg zum Timmelsjoch. Man hat hier bereits über 180km und fast 3500hm in den Beinen und muss nochmals 1750hm am Stück über 30km hoch(!). Wer sich im Vorfeld nicht richtig eingeteilt hat bricht hier jämmerlich ein. Nach 2h20min komme ich auf der Passhöhe auf 2509m an, bei der Überfahrt drehen die Hormone durch und Freudentränen schießen in die Augen. Da ich immer noch super in der Zeit liege starte ich gleich durch und stürze mich in die Abfahrt nach Sölden. Dort empfängt mich am Ortseingang eine Delegation mit schwenkenden Kuhglocken, der Zielbereich ist ausgebaut wie bei einer Tour-de-France-Ankunft bei nicht minderer Stimmung. Im strahlenden Sonnenschein fahre ich nach 9h18min als 925ter von über 4000 über die Ziellinie. In meiner Altersklasse werde ich 521ter von 2300.

Auch Markus konnte so richtig gut Zeit aufholen und kommt kaum eine halbe Stunde nach mir ins Ziel (Platz 785, Gesamt 1330). Für seine zweite Teilnahme am ÖRM eine Sensation. Das für uns scheinbar unmögliche Ziel von 10 Stunden haben wir somit bei Weitem unterboten. Das sollte man eigentlich so stehen lassen, aber ich weiß genau, daß es nächstes Jahr wieder juckt.

Beispielhaft für diese Veranstaltung ist auch die Siegerehrung, die nicht wie sonst üblich kurz nach Eintreffen des Siegers stattfindet, sondern erst nach Eintreffen der letzten 3 Teilnehmer (innerhalb des Zeitlimits). Diese werden in die Festhalle begleitet und auch als Finisher geehrt. Anwesenheit aller anderen Teilnehmer ist hierbei Ehrensache.

Rundum also eine perfekte Veranstaltung, auf die ich mich durch mein Jahrestraining ideal vorbereiten konnte. An dieser Stelle vielen Dank an Ilka Müller für die Trainingsplanerstellung im Früjahr, an den ich mich inhaltlich bei Weitem nicht anlehnen konnte, dessen Grundgedanke ich aber verstanden habe und letztendlich davon profitierte. Ebenso Dankeschön an meine kleine Familie für die Unterstützung und das Verständnis in der Vorbereitungszeit und letztendlich auch an Markus "Sissi" Greis, der sich im letzten Jahr vom Mythos Ötzi hat anstecken lassen und mit mir zusammen diese perfekte Jubiläumstour erfolgreich meisterte.

bis zum ÖRM 2008,
Gruß, Andreas