Via Migra- Der dritte gemeinsame Alpencross von Helmut und Dennis
In der ersten Ferienwoche war es wieder soweit – wieder mal per Mountainbike über die Alpen. Dennis drittes und Helmuts siebtes Alpencross-Abenteuer nahmen Ihren Lauf. Weil wir dieses Jahr beide nicht so viel Zeit zur Vorbereitung hatten, orientieren wir uns an der von Ralf Glaser ausgearbeiteten Tour „via migra – von Mittenwald bis zum Monte Grappa.
Wir starten am 7. Juli, einem Mittwochmorgen in Saarbrücken, fahren nach Mittenwald und mieten uns in einer schönen und preiswerten Pension ein. Am Abend sichern wir uns zwei Super-Sitzplätze im Biergarten und fiebern bei gutem Essen mit der deutschen Fußballnationalmannschaft mit, die aber leider gegen den späteren Weltmeister Spanien verliert.
Etappe 1: Karwendelrunde
Da wir bereits vor drei Jahren über das Plumpsjoch gefahren sind, entscheiden wir uns, nach dem Aufstieg zum Karwendelhaus dem Lamsenjoch einen Besuch abzustatten. Das Karwendelgebirge mit seinen markanten felsigen Schluchten und den massiven Kalksteinwänden bietet einen tollen Einstieg in ein Alpencross-Abenteuer. Die Almböden - kleiner (südliches Ende des Johannestales) und großer Ahornboden (im hinteren Engtal) mit ihren alten, knorrig vermoosten Waldahornbeständen bieten eine einzigartige Kulisse. Manche der Bäume sollen bis zu 600 Jahre alt sein. Der Aufstieg über einen nicht ungefährlichen ausgesetzten Trail kostet uns Kraft und Zeit. Bei der Rast auf der Lamsenjochhütte beschließen wir alten Hüttenfans die Etappe früher zu beenden- eine richtige Entscheidung, denn der Blick auf die markante Ostwand des Lamsenjochs und auf ein warmes Essen ist weitaus angenehmer, als der auf eine gefährliche Talabfahrt in der anbrechenden Dunkelheit.
Etappe 2: Von der Lamsenjochhütte nach Ginzling
Die Abfahrt zur Stallenhütte hat es in sich. Auf losem Schotter geht es vorbei an den Hausziegen, grasenden Gemsen und im Weg stehenden Kühen. Dennis fehlt der nötige Morgen-Kaffee zur Konzentration und er testet die Bodenbeschaffenheit aus der Nähe. Helmut dagegen wirkt auf seinem neuen Fully sehr sicher und findet noch Zeit für perverse Tierfotos (kackende Gams Fels). Der Alpsteig Vomperberg lässt sich gut fahren und bietet zuweilen schöne Blicke ins Inntal und die riesigen Schotterwerke bei Vomperbach. Der Vomper Bach hat eines der größten Lockergesteinsvorkommen Tirols. Das sog. Vomperloch als Seitental des Inns ist übrigens nur sehr wenig erschlossen und vielleicht mal eine Erkundung wert? Nach einer Doping-Frühstückspause mit Ei und Speck in Pill erwartet uns ein Anstieg von 1700 Höhenmeter am Stück. Besonders die ersten 400 Höhenmeter auf glühend heißem Asphalt lässt uns manchmal darüber nachdenken, ob wir jemals am Geiseljoch, das seinen Namen zu Recht trägt, ankommen. Wir bitten mehrmals Anwohner um Wasser und erst nach Innerst mündet der Weg in den Wald und bietet etwas Schatten. Bis zur Weidener Hütte ist der Weg gut fahrbar. Auch das anschließende Fahren und Schieben aufs Geiseljoch macht uns Spaß, erblicken und fotografieren wir doch zum ersten Mal in diesem Jahr wunderschöne Hanglagen voll mit Alpenröschen. Die Abfahrt nach Vorderlahnersbach verläuft problemlos. Kurzfristig stecken wir aber in einer Kuhherde fest, bis uns eine junge Bäuerin aus unserer Lage befreit. Über eine alte Talstraße müssen dann noch einige Höhenmeter zurückgelegt werden, denn wir schlagen nun den Weg Richtung Pfitscherjoch ein. Linda, die Frau von Dennis, reserviert uns ein nettes Appartment in Ginzling.
Etappe 3: Von Ginzling nach Rodeneck
Diese Etappe beginnt vielversprechend. Auf dem Weg zum Schlegeisspeicher kann man sich prima einfahren, ein Trail für Radfahrer sorgt für schöne Blicke in die Schlucht. Man fährt dann wieder auf der Mautstraße genau auf die über 100 Meter hohe Staumauer zu. Der Speicherinhalt des Sees, auf dessen Grund übrigens eine alte Almhütte liegt, beträgt 130 Millionen Liter Wasser- nicht umsonst ist die gekrümmte Staumauer ca. 30 Meter dick. Hinter dem See führt ein verblockter Trail hinauf zum Joch. Die eindrucksvolle Moränenlandschaft ist ein beliebtes Wanderrevier - auch für uns Mountainbiker, da der teilweise verblockte Weg hinauf nur schwierig zu fahren ist. Aufgefallen sind uns Bachläufe, die rostroten Schlamm mitführen- offenbar existieren hier oben größere Erzvorkommen. Die Recherche im Internet ergibt , dass unterhalb des Pfitscher Gipfels tatsächlich Pyrit oder Katzengold abgebaut wurde. Pyrit kann echtes Gold enthalten, vor allem aber benutzte man es, um mit Hilfe eines Feuersteines Zunder zu entzünden. Freude bereitet uns ein Bad in dem von Katzengold glitzernden Bach. Auch oben auf dem Gipfel ist es an diesem Tag sehr warm, ein nahe des Weges liegendes Schneebrett widersteht noch der Hitze und bietet uns eine willkommene Abkühlung.
Der weitere Weg führte uns nach einigen Trails in Straßennähe nach Fußendross, von dort geht es über den Brenner Radweg in Richtung Brixen. Der Radweg ist nicht immer gut gekennzeichnet , das kostet uns zusätzlich eine halbe Stunde Umweg. Auch die ständigen Auf-und Abstiege ermüden. Einige Beerensträucher in der Nähe des Radweges laden zu einem kleinen Snack ein. Wir sind froh, als wir bei Franzenfeste das Tal verlassen können. Der Tag bietet dann noch weitere überraschende Höhepunkte. Bei Schabs meint ein älterer Passant auf die Frage, ob er den Waldpfad nach Rodeneck wisse, es habe da mal einen gegeben, er habe ihn aber seit 40 Jahren nicht mehr benutzt, wahrscheinlich gebe es den nicht mehr. Wir suchen und finden ihn trotzdem: Eine toller alter Karrenweg, der aus großen festgetretenen Kieselsteinen besteht, führt uns zu einem wunderschön im Wald liegenden Bauernhaus. Das tolle Gebäude mit seinen alten Toren und den Obstspalieren trägt sogar ein Wappen, wohl ein Relikt aus der Zeit, als alle Anwohner verpflichtet waren, die Herren der Burg Rodeneck zu versorgen. Die attraktive Bäuerin zeigt uns müden Radwanderern eine „Abkürzung nach Vills, es sei aber a bisserl steil, schon!“. Als wir anschließend mitten auf einem Waldacker mit 30 Prozent Gefälle zunächst vergeblich einen Weg suchen, unterstellen wir der hübschen Person , sie habe uns im Sinne einer Waldhexe in die Irre gelockt. Oder führt sie eine Mountainbiker-Verulkliste?. Wir tun ihr Unrecht, wir landen kurze Zeit später tatsächlich in Rodeneck. Für Kunstliebhaber noch ein kleiner Hinweis - in der Burg wurden die berühmten Iwein –Fresken gefunden, die um 1220 in Anlehnung an den berühmten Ritterroman von Hartmann von Aue entstanden.
In Vills kehren wir in einem hervorragenden Hotel ein, genießen ein reichliches Mahl und bei einigen Bieren den Sieg der Deutschen beim Spiel um Platz 3.
Etappe 4: Von Vill zur Maurerberghütte
Herr Glaser empfiehlt uns, zur Rodenecker Alm mit dem Shuttle zu fahren. Das gefällt uns nicht so sehr. Da wir aber angesichts gefühlter 40 Grad im Schatten keinesfalls über 3000 Höhenmeter fahren möchten, wollen wir doch mit dem Bus fahren. Dieser nimmt aber keine Radfahrer mit, wie der Busfahrer mit einem höhnischen Lächeln bemerkt. Also strampeln wir zum Tagesauftakt erstmal die 900 Höhenmeter zur Alm nach oben. Der Panoramaweg, der jetzt folgt, ist geprägt von tollen Ausblicken und Landschaften. Der Weg selbst ist anspruchsvoll, voller kleiner Anstiege und Schwierigkeiten. An diesem Tag ziehen rund um uns heftige Wärmegewitter auf, wir befinden uns gerade auf knapp über 2000m und wollen einen kleinen Hügel überwinden. Wir stellen unser Glück auf keine Probe und suchen Schutz von höchster Stelle, nämlich in der Kapelle „Jakobsstöckl“. Anschließend geht es weiter über schwieriges Terrain über das Lüsner Joch. Kurz vor der Maurerberghütte stürzt Dennis über seinen Lenker. Der linke Ringfinger schmerzt heftig und schwillt bedenklich an, ansonsten nur kleines Ungemach- das Hinterrad weist einen üblen Achter auf. Wir beschließen, auf der Maurerberg-Hütte einzukehren und essen ca. 10 Spiegeleier und 2kg Bratkartoffeln, während wir zusammen mit den Hüttenwirten das WM-Endspiel auf Italienisch schauen.
Etappe 5: Von der Maurerberghütte nach Alleghe
Am Morgen ist das mittlere Fingergelenk von Dennis merklich angeschwollen. Helmut bietet eine Amputation an - ohne Narkose natürlich - mit seinem rasch hervorgezauberten Schweizer – also lieber doch den Finger geschient. Dennis befreit einen hässlichen Blumenschmuck von einem Zierstöcklein und tapt damit seinen Finger. Rasch erreichen wir das Würzjoch. Die Nordwand des Peitlerkofels bietet eine tolle Kulisse für ein paar arrangierte Action- Fotos. Weiter gehts nach Campill in eine Pizzeria, anschließend über Badia nach St. Kassian zum passo valperola. Ein netter Angestellter eines Fahrradgeschäftes beseitigt den Achter von Dennis und dieser versucht dann den vorausfahrenden Helmut einzuholen, der wartete aber schon bester Laune im Rifugio. Eigentlich stehen an diesem Tag noch wilde Downhills auf dem Programm. Wir entscheiden uns aber für eine Abkürzung und fahren ab nach Alleghe, wo wir in einem günstigen Hotel nächtigen.
Etappe 6: Von Alleghe nach San Martino di Castrozza
Endlich sind wir wieder auf der der geplanten Route, am richtigen Startpunkt. Wir beschließen , nach Tourvorgaben zu fahren. Also biken wir nach Falcade, um dort ein Stück mit dem Sessellift zu fahren. Aber, lieber Herr Glaser, der Sessellift ist seit Tagen außer Betrieb - na toll!. Dann eben wieder 500 Höhenmeter mehr!! Oben, am Passo Valles kommt Dennis mit ein paar Bikern ins Gespräch, mit denen wir die nächsten Abende verbringen werden. Auch sie orientieren sich an der via migra und haben auch die eine oder andere Abzweigung verpasst. Wir verabreden uns für den Abend in San Martino und beide Gruppen genießen den Nachmittag in einer wunderschönen Landschaft. Das Val Venegia lässt mittels einer breiten Schotterpiste recht gut erklimmen. Der Anblick der zackigen Nordwestfelsen der Palagruppe bietet höchsten Alpencross-Genuss. Durch diese Berggruppe führen einige der schönsten Klettersteige in den gesamten Dolomiten Am Abend sitzen wir nach gutem Essen bei den anderen Bikern im Zimmer, trinken gemeinsam Wein, essen Käse und erzählen von Abenteuern: großen und keinen, länger zurückliegenden und gerade erst passierten- eben Outdoor-Fans unter sich. Schwer beeindruckt sind wir von den Erzählungen der Kollegen über ihren letztjährigen West-Alpencross.
Etappe 7: Von San Martino nach Arsie
Wir verlassen San Martino am Morgen und wählen einen schönen Trail durch den Wald, der parallel zur Talstraße am Höhenrücken läuft. Im dichten Wald fallen uns sehr viele vermooste Baumstümpfe und Farne auf. Nach kurzem Gespräch mit einer knorrigen Waldelfe geht es weiter. In Gobbera erfrischen wir uns in einem idyllisch gelegenen Cafe von einem heftigen Abfahrtstrail mit einer kühlen Cola und beschließen, einen kleinen Umweg zu fahren - hinauf zu den Bunkeranlagen am Monte Totoga. Aber von Fahren kann zunächst keine Rede sein Der Trail ist eher ein Steig, hat streckenweise über 30 Prozent Steigung und zehrt an kräftig an unseren Wadeln. Nach 1h Hardcore-Schieben mündet der schmale Pfad durch eine schmale Felsenklamm auf ein alte Militärstraße, welche weiter nach oben führt. Die Bunkeranlagen, direkt in den Felsen gehauen wirken faszinierend und bedrohlich zugleich. Angst und Bange wird mir, als ich Helmut vor der ungesicherten Felswand mit dem Fotoapparat herumturnen sehe. Ich verpasse die Gelegenheit Helmut endlich loszuwerden und nehme die leidige Diskussion mit Konfliktpotential GPS oder Karte in Kauf. Helmut und sein GPS haben Recht. Nach eine unglaublichen Abfahrt auf eine Militärstraße mit 48 Kehren und 1000 Höhenmetern finden wir schließlich den richtigen Weg zum Zielort. Dort warten schon unsere neuen Freunde auf uns, die gleich für uns reserviert haben. Wir lassen den Abend in einer Pizzeria mit viel Wein und sehr vielen ausgezeichneten Pizzen ausklingen. Es gelingtt uns an diesem Tag nicht, per Telefon eine Vorreservierung mit Bikeplatz für unsere Heimreise per Zug zu bekommen. Wir hören, dass nur noch wenige Plätze mit Biketransport im Zug von Venedig frei seien und beschließen am nächsten Tag schnellstmöglich einen Bahnhof zu erreichen, da am nächsten und übernächsten Tag die Züge ab Venedig schon komplett ausgebucht sind. Da Dennis doch keine zwei weiteren Tage auf den Anblick seines kleinen Sohnes verzichten möchte, beschließen wir schweren Herzens den letzten Berg vor der Poebene, den Monte Crappa, auszulassen und trinken deshalb das eine oder andere Gläschen Wein mehr.
Nach Hause
Die letzte Etappe ist schnell erzählt . Wir fahren ein Stück in Richtung Bassano, sehen einen kleinen Bahnhof und fahren ohne Probleme mit dem Regionalzug in Richtung Brenner. Die wüsten Geschichten, die die Info-Abteilung der deutschen Bahn verkündet sind völlig unsinnig. Man sollte nach einem Alpencross einfach mit Regionalzügen nach Hause fahren, die verfügen immer über genügend Platz für Fahrräder. Letztlich war es doch schade, dass wir die geplante letzte Etappe mit 1600 Höhenmetern am Stück über den Monte Grappa ausgelassen haben zugunsten der schnelleren Variante zum Bahnhof nach Bassano del Grappa. Der Blick von dort in die topfebene Poebene soll bei entsprechendem Wetter ins bis zu 60 Kilometer entfernte Venedig und zum Meer reichen – naja - ein bisschen Schuld war auch der niedliche kleine Sohn von Dennis, der am Telefon mit seinem „Papa Arm“ das Heimweh verstärkt hat.
Gesamtfahrstrecke. Rund 540 Km und nicht ganz 13.000 Höhenmeter