Transalp 2009 - Dennis und Helmut auf der “Albrecht-Route”
06.11.2009 - 8548 x angesehen (zuletzt am: 21.12.2024 um 18:11)
Im Juli 2009 fuhr ich mit meinem guten Freund Dennis meinen sechsten Alpencross. Wir entschieden uns für die Albrechtroute, dessen Routenbeschreibung ich bei meinen Recherchen im Internet fand.
Von Garmisch über Grosio und den Gavia-Pass an den Gardasee - genauer Torbole. Die Route kam per GPS-Download auf meinen Garmin, das gedruckte Roadbook erreichte uns allerdings erst nach Abschluss des Alpencrosses per Post - da müssen Sie noch nachbessern - Herr Albrecht.
Da wir mutig genug waren, mit lückenhaften GPS-Halbwissen und ohne Roadbook aufzubrechen, durften wir auch einige extra Kilometer fahren.
1. Tag - Start am späten Nachmittag:
Schon auf den ersten Kilometern von Garmisch an den Eibsee - der eigentlich nicht auf der Route, aber einen Abstecher wert ist, kommt es zur Beinahekatastrophe. Auf einem steil abschüssigen, von Wurzeln durchzogenen Trail zurück auf unsere Route stürzt Meister Dennis schwer und liegt am Boden. Mit schmerzverzerrtem Gesicht und der Hand auf dem Oberschenkel winselt er etwas von: “ich glaub, mein Bein ist gebrochen”. Da Knochen nur selten brechen, wie ich aus eigener Erfahrung weiss, übergieße ich Dennis Oberschenkel erstmal mit quellfrischem kaltem Wasser aus meinen beiden Trinkflaschen, um dem Schmerz etwas die Spitze zu nehmen. Dann - nach einer Verschnaufpause - fordere ich Dennis auf, langsam aufzustehen. Es dauert, aber gelingt und nachdem Dennis wieder steht, stelle ich fest, dass das Bein wohl doch nicht gebrochen ist. Der Trail auf dem wir dann - schiebend - weiter abwärts unterwegs sind, entpuppt sich nun als Steilhangvariante, die ohnehin nicht mehr fahrbar ist. In steilen Rampen am Berghang entlang wuchten wir uns und unsere Räder bergab, wobei ich dem deutlich langsameren Dennis öfter unter die Arme greife, bzw. dessen Rad mittrage. Unten angekommen sind wir fix und foxi und schlicht reif für ein Abendessen und ein Bett. Dafür müssen wir allerdings noch 10 km fahren - in Richtung Garmisch - also zurück: Fazit des ersten Tages: Ein beinahe gebrochenes Bein, ein genervter Helmut, insgesamt Luftlinie noch keine 10 km vorangekommen, dafür aber schon viel erlebt.
Nur 30 km, aber fast 1100 Höhenmeter für ein fast gebrochenes Bein und ein wenig Einsicht.
2. Tag - von Garmisch nach Landeck
Diese Tour dient zum gemütlichen Einrollen und hat keine besonderen Höhepunkte - leider! Viele Kilometer auf Radwegen in der Nähe von Schnellstraßen, ein paar Kilometer durch Wälder, abgesehen von Schloss Fernstein wenige Höhepunkte. Da ist mir der Start in Obersdorf mit meinem geliebt-gehassten Schrofenpass oder der schroffe Karwendel schon lieber - das sind echte Höhepunkte gleich am ersten Tag.
In Landeck genießen wir die Abendsonne in einem Restaurant hoch über der Stadt und beenden den Tag nach 76 km und nur 900 Höhenmetern.
3. Tag - von Landeck ins Verwalltal
Das Wetter trübt sich leider ein an diesem Morgen und - naja - Dennis ist mit seinem stark geprellten Oberschenkel auch nicht in Bestform. Aber jede gute Alpencrosser verfügt über einige Tabletten mit speziellen Wirkstoffen gegen den Schmerz. Denn wer wollte schon wegen ein paar kleinen Prellungen einen Alpencross hinschmeißen. Ein Stück Straße bis hinter St. Anton am Arlberg und dann biegen wir ein in das wunderschöne Verwalltal, das ich schon von meinen früheren Transalps kenne.
Nachdem wir eigentlich nicht sonderlich schnell vorangekommen sind, gönnen wir uns auch noch eine Pause auf der Heilbronner Hütte und verdrücken jeder zwei Gernknödel mit Vanillesauce. Danach reißt der Himmel auf und die Sonne scheint schön auf uns herab, das Weizenbier wird von Bleifrei auf Blei gewechselt und die Lust auch nur einen Meter weiter zu fahren, ist dahin. Gott sei Dank sind wir nur zu zweit und nicht von einer Gruppe abhängig. Nachdem die Zimmerfrage geklärt ist, widmen wir uns den Gipfeln über der Heilbronner Hütte und machen eine ausgiebige Fototour bis zum Abendessen. Dabei entdecke ich sogar einen Grasfrosch, der - man mag es kaum glauben - in diesen Hochgebirgsregionen durchaus zu Hause ist.
weniger als 50 und kaum mehr als 1300 Höhenmeter - aber uns reicht es.
4. Tag - eine Duschtour bis zur Heidelberger Hütte
An diesem Morgen gießt Petrus gerade die Alpen genau über uns. Es regnet so Gott erbärmlich, das wir uns fühlen, als würden wir unter einer großen Schwallbrause fahren. Aber es nützt ja nichts - wir wollen heute wenigsten ein paar Kilometer vorankommen. In Ischgl kaufe ich mir noch ein paar wasserdichte Handschuhe im Sportgeschäft, weil es nun auch merklich kälter wird. Eine Kaltfront ist im Anmarsch und über Nacht soll Schnee fallen - bis auf ca. 1800 Meter - es ist eigentlich Mitte Juli und Hochsommer. Mit diesen Aussichten und nun etwas wärmeren Fingern gehen wir an den Aufstieg ins Fimbatal. Diese wunderschöne Strecke führt uns nun schon wieder aus Österreich heraus und auf Schweizer Gebiet. Dort bewacht ein Pferdeherde die Grenze und inspiziert genau unser Räder und unsere Rucksäcke. Es sind halt Schweizer! Eines der Viecher beißt sogar in meinen Sattel. Während wir Fotos machen, rücken sie einem ständig auf die Pelle. Offensichtlich wird diese Herde öfters von den Bergwanderen und vielleicht auch Mountainbikern mit Leckereien gefüttert, sodass die Tiere daraus einen Anspruch auf Wegezoll ableiten.
In der Heidelberger-Hütte machen wir Rast - es ist früher Nachmittag - und besprechen mit dem Hüttenwirt und anderen Gästen die Lage. Man rät uns jetzt noch talabwärts zu fahren und aus dem Schneechaos raus. Zeitlich wäre das kein Problem, aber da würde uns ja was entgehen - auch fotografisch. Also sind wir uns schnell einig - wieder wird von Bleifrei auf Blei umgestellt und dageblieben. Schnee im Hochsommer - das lassen wir uns nicht entgehen.
Km ca. 35 und kaum mehr als 700 Höhenmeter, dafür aber die Aussicht auf Schnee!
5. Tag - eine Schneetour von der Heidelberger Hütte nach Scoul
Der Morgen empfängt uns mit einem Fensterblick auf eine schneeverhangene Landschaft, wie ich sie auf meinen fünf anderen Transalps noch nicht gesehen habe. Alles ist weiss und es schneit immer noch kräftig. Dennis Oberschenkel freut sich auch über den Schnee und leuchtet in verschiedenen Farben. Aber die Schmerzen sind jetzt auch ohne Tabletten verkraftbar und so beschließen wir heute mal eine längere Etappe in Angriff zu nehmen.
Draußen ist es knapp unter Null Grad und irgendwie gar nicht gemütlich. Die Wegezeichen sind durch den Schnee auch nur schlecht erkennbar, aber irgendwie kommen wir doch langsam voran. Nach einiger Zeit bewegen wir uns in einer immer steiler werdenden Hanglage, die langsam gefährlich wird, denn Schnee ist bekanntlich kein stabiler Faktor. Dennis und ich diskutieren - ich bin fürs Durchsteigen - er will lieber zurück und nichts riskieren. Ich gebe nach und es stellt sich heraus, dass Dennis recht hatte - wir waren vom rechten Weg abgekommen. Biken ist fast nicht möglich, da wir kaum die Hindernisse erkennen können. Die Wettervorhersage hatte auch recht - bis beinahe 1800 Meter liegt eine bis 20 bis 40 cm dicke pappige Schneedecke. Danach geht der Schneefall in einen “beschissenen” Regen über, der uns den Rest des Tages richtig verleidet. Wir fahren nunmehr schon den dritten Tag fast nur in Regenklamotten - das nervt . Also Abbruch in Scuol - Suche nach einer ordentlichen Dusche mit Bett und einem guten Abendmahl - dann ist die Welt wieder in Ordnung.
Abends ist in Scuol sogar ein kleines Straßenfest, wo wir noch ein paar nette Leute kennen lernen - also der liebe Gott hat es wieder gut mit uns gemeint.
Km - ca. 35 und kaum erwähnenswerte 500 Höhenmeter, da es tendenziell bergab ging.
6. Tag - Gewalttour von Scuol nach Grosio
Heute lacht die Sonne und die Temperaturen erlauben wieder kurz. Über das schöne Örtchen S-charl geht es ein Stück durch einen Nationalpark ins Münstertal. Dies ist - in meinen Augen - einer der schönsten Teile meiner bisherigen Alpenüberquerungen. Ich kenne dieses Tal schon und bin immer wieder begeistert. Dort gibt es den höchstgelegenen Zirbenwald im gesamten Alpenraum. Bis auf fast 2000 Meter geht die Baumgrenze mit diesen äußerst widerstandsfähigen Bäumen, die bei uns - glaube ich - Lärchen heißen. Heute kommen wir gut voran und Dank meines Garmin müssen wir auch kaum auf die Karte schauen. GPS ist schon ein Segen, auch wenn ich mir vom eher technikfeindlichen Dennis öfter “kluge Kommentare” anhören muss. Am Lago Cancano passieren wir die Grenze nach Italien und hier habe ich leider keine topographische Karte auf dem Garmin. Aber mit dem City-Navigator - einer ziemlich gut aufgelösten Europakarte geht es auch, weil wir hier auch Gewässer und Straßen sehen und so relativ sicher navigieren können. Abends in Grosio angekommen, treffen wir auf ein paar Badenser, die ebenfalls auf der Albrecht-Route unterwegs sind und verbringen einen gemütlichen Abend in einer Pizzaria.
Heute über 100 km und 2400 Höhenmetern - wird auch Zeit!
7. Tag - von Grosio über den Gavia-Pass nach Ponte di Legno
Unvorstellbar, dass wir vor zwei Tagen noch durch den Schnee gestakst sind. Es ist warm und sonnig. Auf einer alten Straße rollen wir Richtung Bormio zunächst noch auf Asphalt. Später geht es dann bergauf Richtung La Baita, einer Hochalm - jetzt wechselt es ins Hochprozentige auf Schotter mit groben Steinplatten. Wer hier durchgehend fährt, verdient höchsten Respekt - Dennis möchte den meinigen und strengt sich mächtig an - auch weil er nicht so effektiv das Rad bergauf schieben kann wie ich - bin eben ein guter Bergaufschieber. Teilweise fahrend und dann wieder schiebend bewältigen wir den Passo dell’ Alpe auf fast 2500 Meter. Kurz darauf treffen wir auf den Gaviapass, der immerhin deutlich über 2600 Meter geht und fahren diesen auf gutem Asphalt bis oben hin. Die Abfahrt ist rasend schnell und wir beneiden diejenigen nicht, die hier mit dem Rennrad rauf müssen. Der Gaviapass verdient seinen schlechten Ruf zurecht, denn die Rampen sind teilweise höllisch steil. Am Ziel in Precasaglio sind wir wieder auf nur 1400 m und kehren in der einzigen sehr gemütlichen Albergo ein, die der kleine Ort zu bieten hat.
Tagesleistung - 50 km und fast 2300 Höhenmeter
8. Tag - 40 Prozent bergauf über die Forcellina di Montozzo nach Madonna di Campiglio
Heute haben wir ein echtes Steilstück im Programm - die Anfahrt zum Rifugio Bozzi auf 2489 Meter ist dabei noch einigermaßen gut zu bewältigen, aber hinter dem Rifugio hört der Spass endgültig auf. Jetzt ist nur noch Schieben angesagt und das kostet richtig Kraft, besonders auf den letzten 100 Höhenmetern. Unfassbar steil mit Schneeresten durchsetzt wuchten Dennis und ich uns und unsere Bikes auf dem Buckel über die Montozzo Scharte hinweg. Auf dem 2613 Meter hohen Grad sehen wir dann die Reste von Schützengräben - der Wahnsinn des ersten Weltkrieges begegnet einem in den Alpen immer wieder.
Jetzt kommt ein richtig geiler Trail hinab mit einigen technischen Highlights, welche auf einem Hardtail nicht immer Spass machen. Da hat es die Fully-Fraktion leichter. Der Trail ist endlos lang und immer wieder mit schwierigen Passagen durchsetzt. Gelingt es uns in der ersten Stunde noch durchweg gut, die Schwierigkeiten zu meistern, wird es nach zwei Stunden ständiger Trailabfahrt schwierig , sich weiterhin zu konzentrieren. Ich stürze zweimal unsanft um dann beim dritten Sturz direkt mit dem Gesicht im Dreck zu landen - ein Klassiker von einem Sturz. Gott sei Dank bewahrt mich der Helm vor Schlimmeren. Endlich unten im Tal folgt der Schlussanstieg unserer heutigen Etappe nach Madonna di Campiglio, der uns noch einiges abverlangt - über 800 Höhenmeter am Stück bei sehr warmen Temperaturen und nur wenig Möglichkeiten Wasser nachzutanken.
Gesamt: rund 65 km und knapp über 2400 Höhenmeter und ein paar blaue Flecken, weil’s so schön war!
9. Tag - Schlussetappe durch die Brenta zum Gardasee
Heute geht es durch die Brenta zum Gardasee - das ist ein Nationalpark und Bärengebiet. Wer durch diese wunderschönen Wälder fährt, kann sich vorstellen, dass sich hier auch Braunbären wohlfühlen. Gesehen haben wir aber keinen. Vorbei an der Cascade di Mezza, einem schönen Wasserfall geht es hoch zum Lago d’Agola - einem Traum von Bergsee mit schmaragtfarbenem Wasser und einer grandiosen Berglandschaft. Jetzt geht es eigentlich nur noch bergab - hätten wir das richtige Roadbook dabei. Das aber schlummert in meinem Briefkasten und wir fahren falsch - auch weil mein Track nicht ganz mit dem Roadbook übereinstimmt. Statt auf einer alten Höhenstraße Richtung Ponto Sarca fahren wir Deppen unten im Tal um dann noch über den letzten Pass, den Passo Campe Carlo Magna bei recht dichtem italienischen Verkehr nach Riva del Garda zu kommen. Radfahren im italienischen Verkehr ist ohnehin nur etwas für Masochisten. In Torbole angekommen geht es direkt zur Strandbar, wo wir den Abschluss dieses Alpencrosses feierlich begießen. Prost!!
Gesamt: 95 km mit rund 1400 Höhenmetern inklusive einiger Umwege
Gesamtleistung auf diesem Transalp nach 9 Tagen - fast 500 km und 13.000 Höhenmeter