29er - ein erster Fahrbericht

Vielen wird es beim ersten Kontakt mit den neuen 29er MTB's ähnlich gegangen sein wir mir: Braucht man das jetzt wirklich? Ist das mal wieder ein neuer Marketing Gag einer Branche die ständig nach neuen Möglichkeiten sucht? Nur ein Test schafft bekanntlich Klarheit ...

Kai Gimmler Bikes, einer unserer BIKE-AID Partnershops, hat mir freundlicherweise gleich zweimal ein 29er Bike zum Test bereitgestellt. 
 
Um es vorweg zu nehmen: die Optik empfinde ich als reine Geschmackssache. Bei Rennrädern und Tourenrädern haben wir uns an 28er Reifen gewöhnt, beim MTB an 26er Reifen - wieso also sollte sich das nicht auch mal ändern können?
Richtig ist sicherlich, daß 26er Räder auf manchen XXL Rahmen einfach grotesk klein aussehen und manche Knirpse auf Ihren 26er Rädern aussehen als würden Sie im Riesenrad fahren.
 
Bei einem normalen Erwachsenen ist die Optik meiner Ansicht nach reine Geschmackssache und wir werden uns an unterschiedliche Radgrößen schnell gewöhnen. Ebenso wie wir uns diverse Federungssysteme einarmige Gabeln und Scheibenbremsen gewöhnt haben.
 
Beide Bikes wurden von Kai akribisch und perfekt auf meine Masse (183kg/78kg) eingestellt. Das ist durchaus aufwändig, muß man doch neben der Länge und Stellung von Vorbau und Sattel auch an ein perfekte Fahrwerks-Setup denken.
 
Die Einstellung von Gabel, Dämpfer und Reifendruck sind wichtig um vergleichbare Fahreindrücke zu gewinnen und das Maximum aus den Fahrwerken rauszuholen. 
 
Die zwangsläufigen Unterschiede zwischen 26er und 29er Laufrädern scheinen klar:
29er Laufräder haben schwere rotierende Massen und somit schwerer zu beschleunigen, sollten aber deutlich besser und stabiler über Hindernisse rollen.
Beim Lenkverhalten darf man mit etwas mehr Trägheit rechnen - dafür sitzt man aber deutlich mehr "im Rad" - was einer angepasste Geometrie der 29er Rahmen geschuldet ist.
Insgesamt ist ein 29er Bike immer etwas schwerer als ein vergleichbares 26er.
 
Soweit die Theorie. 
Beginnen wir mit dem KONA Satori, Größe MFederweg vorne und hinten 130mm mit Steckachsen, Rock Shox Revelation, Maxxis Ardent 2,25 vorne und hinten - und damit geht das Bike ein wenig in Richtung All Mountain.
 
Die ersten Meter auf der Strasse machen schon klar: Das fühlt sich "anders" an als auf einem 26er - aber keinesfalls schlechter! Der Komfort beim Überrollen von Bordsteinen oder Treppen ist erheblich größer, das Sicherheitsgefühl auch. Also wird man fast zwangsläufig schneller.
 
Berghoch (Fischerberg) fühle ich mich nicht so schnell und auch nicht so wohl. Ich muss deutlich mehr Kraft aufwänden. Allerdings ist das Testbike nur mit einem 2-fach Kettenblatt ausgestattet und wiegt ziemlich genau 13,9kg - und somit 2kg mehr als ich von meinem Liteville 301 gewöhnt bin.
 
Oben angekommen ... und ab auf die Trails - in diesem Fall die Bietzerberger und Paul-Schröder-Trails. Die Verhältnisse sind durchaus prekär. Mal ist es richtig glitschig, mal staubtrocken auf zumeist wurzeliger Strecke. Auf diesen Passagen ist das 29er voll in seinem Element. Es gleitet förmlich über jede Unebenheit hinweg und bietet ein Gripniveau das ich nicht gekannt habe.
Schlammige oder sandige Passagen werden einfach und sicher durchrollt.
Das fällt extrem auf, weil der Trail oft seitlich hängt um der BIker beständig von "Abschmieren" bedroht ist.
 
Auf den Downhills bügelt das 29er alles weg - gefühlt ist das in etwa so, als hätte man einen Federweg von 160mm. Extrem spurtreu und sehr sicher folgt das Teil der Schwerkraft!
Selbst grober Schotter verliert jeglichen Schrecken. 
In vielen anderen Test wurde dieser Eindruck ebenfalls geschildert. Zum Vergleich: ein 26er mit 160mm Federwg ist in der Regel schon ein ziemlich schwerer Enduro-Hobel mit dem unsere üblichen Touren (50km/1000HM) nicht unbedingt Freude machen.
 
Insgesamt bin ich jetzt etwa 90min unterwegs und habe ein breites Grinsen im Gesicht. Das macht wirklich richtig Laune!
Weiter gehts zum Jugendtraining mit Bernd und den schnellen Kids. Spätestens dann sollte ich einen echten Vergleich auf den allseits bekannten Strecken haben. Auch hier bestätigt sich - alles macht mit dem 29er deutlich mehr Spaß. Einzige Ausnahme: Berghoch auf Asphalt oder Waldautobahn fühlt sich alles etwas träger und schwerer an - ich bin aber keinesfalls langsamer als sonst wenn ich mit dieser Bande unterwegs bin.
 
An diesem Punkt ist mir - zum Leidwesen meines Bankkontos - schon irgendwie klar, daß ich begeistert bin und ein solches Gerät haben möchte, auch wenn wir berghoch noch nicht die besten Freunde sind.
 
Abends beginne ich mich über das 29er Thema im Internet mit gesundem Halbwissen und Tests zu füttern. Immer wieder stolpere ich dabei über eines der ersten 29er überhaupt, das NICOLAI HELIUS AC 29 - und damit sind wir auch schon bei meinem zweiten persönlichen Testkandidaten. In einigen Tests wird dieser Bike als ultimatives Trailbike mit "sagenhaften" Klettereingenschaften beschrieben. Wobei mich Tests eigentlich nur bedingt interessieren.
 
Jetzt kommt eine weitere Glanzleistung von Kai Gimmler Bikes: Binnen 2 Tagen besorgt Kai ein Nicolai Helius AC 29 in Größe M. In weniger als einer Stunde baut er die Reifen um perkektioniert das Setup und "verfrachtet" mich samt 29er Nicolai" in den Wald.
 
Unterschiede zum Kona: dieses Bike hat 120/120mm Federweg, ausgestattet mit einer RockShox Reba und einer 10-fach SRAM XX Gruppe. Das Gesamtgewicht liegt bei 13,9kg und damit auf dem Niveau des Kona.
 
Der größte Unterschied mach sich aber bereits auf den ersten Metern beim Fahren bemerkbar. Das Bike ist extrem agil, viel agiler sogar als meine 26er Liteville. Und, es klettert gut - egal ob Wiegetritt oder im Sitzen. Dies scheint dem 4° steileren Steuerwinkel geschuldet zu sein. 
 
Ich muss mich einigen Testberichten mit meiner Meinung anschliessen, weil ich es nicht besser ausdrücken kann. Man hat das Gefühl auf einem Race-Hardtail zu sitzen welches aber sahnig gefedert ist und insegsamt All-Mountain Fahreigenschaften aufweist.
 
Bergab fährt das Nicolai ebenfalls wie auf Schienen, aber doch nicht ganz so ruhig wie das Satori. Damit kann ich prima leben, denn auf den Trails ist es damit auch sehr viel agiler als das Kona. Richtig verblüffend ist die Wendigkeit auf den Trails. Ich bin mehrfach zum Vergleich mein perfekt auf mich abgestimmtes Liteville 301 MK X gefahren. Kein Irrtum möglich. Das 29er Nicolai geht deutlich besser! 
 
Als ich dann noch auf Asphalt mit diesem Bike einen Rennradfahrer den Oberlimberg hinauf jage und erst weit hinter Niedaltdorf wieder zur Vernunft komme und in den Wald abbiege - da wird mir klar, daß mit diesem Nicolai 29er ein neuer Stern in meinen Mountanbike-Kosmos eingetreten ist. 
 
Ich war mit einem MTB nie schneller auf der Strasse, ich war nie schneller downhill und ich hatte ein richtig schnelles, sicheres und nie gekanntes Gefühl auf den Trails.
 
Dies alles ist natürlich sehr subjektiv.
Und dies alles macht durchaus Probleme: Wie die meisten von euch habe ich die Werkstatt voll mit Parts und Reifen und 26er Bikes. Von dem ein oder anderen werde ich mich jetzt trennen (müssen). Nicolai ist kein Schnäppchen - lohnt sich aber.
 
Fazit nach insgesamt 15 Stunden auf 29er: Das Bessere ist der Feind des Guten.
 
Für mich war das Fahrerlebnis auf einem 29er ein Meilenstein, vergleichbar mit der ersten Fahrt auf einem Fully oder der Einführung der Scheibenbremse. Für meine Strecken und meinen Anspruch habe was Besseres nie gefahren. 
 
Mein Rat an alle engagierten Biker. Einfach unvoreingenommen für ein paar Stunden testen. Dann -und nur dann! - könnt ihr mitreden und eine Entscheidung treffen! Meine Entscheidung ist gefallen und in wenigen Wochen wird ein exakt nach meinen Wünschen gefertiges 29er aus in bester deutscher Handarbeit meinen Bikekeller verzieren.


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